Mittwoch, 8. Oktober 2014

Buchstabensuppe mit Worthülsenfrüchten

Ich frage mich seit geraumer Zeit, ob viele Worte nicht einfach leer sind wie ein Schuhkarton, an dessen ehemaligen Inhalt nur noch schwacher Ledergeruch erinnert. „Einen schönen Tag noch!“ wünscht mir der Kassierer im Supermarkt meines Vertrauens und sagt schon halb „Hallo“ zum nächsten Kunden. `Guten Tag` zu sagen scheint ja nicht mehr modern zu sein. Gut, das stört mich nicht weiter. Und dass mir der kassierende REWE–Nachwuchsmitarbeiter einen schönen Tag wünscht ist prinzipiell ja nun sehr nett von dem jungen Mann. Aber ob er´s ernst meint? Was wiegen die Worte denn wirklich? Tragen sie eine Bedeutung in sich, wenn man uns „Schöne Feiertage“ „Einen guten Rutsch“ „Frohe Ostern-dicke Eier“ oder auch bloß ein schönes Wochenende wünscht? Nun bin ich weitestgehend Smalltalk-Abstinenzlerin. Nichtsdestowenigertrotz weiß ich selbstverständlich um die Bedeutung desselben. Smalltalk schmiert die sozialen Kontakte, auch und gerade unter Menschen, die sich (nahezu) fremd sind. Und in ähnlicher Weise funktionieren freilich die netten Wortgeschosse, die einem tagtäglich in freundlicher Absicht um die Ohren geknallt werden. Heutzutage ist es so, dass die Mitarbeiter in den Supermärkten oder anderen Geschäften entsprechend gebrieft und geschult werden. Das freundlich-lockere Hallo darf ebenso wenig fehlen wie eben der schöne Tag, den man uns wünscht. Tatsächlich ist es der Person an der Kasse doch fucking egal, ob wir einen schönen Tag haben. Sie wünscht uns gewiss nichts Schlechtes, aber für was Gutes kennt sie uns doch meist zu wenig. Das Ganze ist höflich. Es soll dem Kunden das Gefühl geben, willkommen zu sein. Logisch. Da geh ich denn auch lieber ein weiteres Mal hin, als in einen Schuppen, in dem man mir noch nicht mal die Tageszeit sagt oder mich mit dem Po nicht anschaut.
Betrachten wir weitere Worthülsenfrüchte in der Buchstabensuppe des Lebens: Zum Beispiel einen typischen Wortwechsel bei uns auf ländlichem Gebiet:
Treffen sich Knöppse-Franz und Hamacher-Tünn: „Tach!“ schreit Knöppse-Franz. Und: „Wie isset?“ Zur Auswahl stehen nun: „Et mut ja“ oder das schlichtere „Jot!“ „Hässe alls jehürt…?“ beginnt Knöppse nun einen kleinen Tratsch. Wahlweise auch: „ Ich hat et ja so schlimm am Bein!“ Dann gibt es einen kurzen Austausch – in einer Lautstärke von ca. 90 Dezibel - über offene Beine, Prostata-OPs und Gebiss-Abdrücke. „Die verdiene sisch dumm un dämlisch, de Ärzte!“ Und dann sagt einer der beiden, meistens der Erstsprechende: „Lott jonn!“ weil er keinen Bock mehr auf das leere Gelaber hat und raus will aus dem verbalen Austausch. Der Höflichkeit ist nun genug getan. Mit den blumigen Mitteln des knappen, Freundschaft erhaltenden Gesprächs. Hernach tritt der Bewohner des Hauses vor dem die kurze, jedoch anspruchsvolle Unterhaltung stattfand, auf das Trottoir und fegt - ist ja schließlich Samstag - die Straße. Dabei ist das plastene, leichte Geräusch der leeren Worthülsen von Knöppse-Franz und Hamacher-Tünn gut hörbar. Der Hausbewohner wirft die Hülsen in die Tonne. Dort verrotten sie aber nicht. Sie überleben, was ja sonst eher Spinnen nachgesagt wird, selbst einen Atomkrieg. Und wenn der Pilz der Bombenexplosion sich verflüchtig hat, wollen sie ein wenig Strahlung tanken, krabbeln aus der Tonne und fragen sich gegenseitig: „Un´ sons`?“
Was schwimmt denn weiteres Schönes in der Suppe? „Was willste machen?“ „Kann man nicht ändern“. „Es ist wie es ist“. „Alles Gute (beruflich und privat)“. „Schöne Ferien“ (sagt die Lehrerin und mach drei Kreuze, dass sie die Puten mal sechs Wochen lang nicht an der Backe hat). „Schönen Urlaub!“ wünscht die Kollegin und denkt wahlweise: „Jetzt kann ich hier deine ganze scheiß Arbeit mit übernehmen.“ Oder: „Jetzt kann ICH endlich mal auftrumpfen, du doofe Hippe!“ Oder: „Wovon muss sich diese faule Kuh denn erholen?“.
Es kann aber einfach auch nur bedeuten, dass man den Schülern oder der Kollegin einen schönen Urlaub wünscht. Weil man höflich ist. Weil sich das so gehört. Und selbst meiner einer versteht das, befürwortet das und…tut es auch selbst. Und bestimmt meint es die Kollegin auch richtig herzlich, weil sie einem wohlgesonnen ist. Und auch ich wünsche meinen Mitmenschen einen charmanten Tag oder ein zauberhaftes Wochenende. Und manchmal strahlen sie mich dann an. Weil ich es so nett gesagt (und auch gemeint) habe. Nun ja, so ab und zu auf jeden Fall! Und weil ich noch nicht so stark abgegriffene Vokabeln gewählt habe. Denn je öfter man die selben Worte und Sätze hört, desto stumpfer werden sie.
Sie verhülsen also. Leider ist mir dies auch schon oft bei Todesanzeigen aufgefallen. „Und immer sind da Spuren deines Lebens…“ Das muss ich mindestens bereits 500 Mal gelesen haben. Gerne genommen auch: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Nichts gegen Herrn Saint Exupèry, er kann ja auch nichts dafür, dass seine Worte durch ständige Anwendung ein wenig an Tiefe und Besonderheit verloren haben. Als sie die ersten Male zu lesen waren, waren sie bestimmt noch mit Bedeutung gefüllt. Und er wird sich einen ziemlichen Kopp gemacht haben, als er an dem Text für „Der kleine Prinz“ herumgefeilt hat. Und unter Umständen kennen ja beispielsweise die Trauernden diese Textpassage gar nicht. Für sie ist das Wortneuland. Für mich, die ich den kleinen Prinzen per se langweilig und nervig finde, den Text, die Zeichnungen und den Baob (ja, was ist das für`n komisches Gerät und woher soll ICH das bitte kennen?), ist das abgegriffen und hohl. Da steckt einfach keine Tiefe mehr drin. Demnach sind Wort – und Satzhülsen und Füllsel also dann besonders lästig, wenn man sie ständig hört oder liest. „Vielfalt“ ist auch so eine Zusammenkunft von Buchstaben, die ich gerne für immer auflösen würde. In jedem verkackeierten Werbetext heißt es „Entdecke die Vielfalt!“ „Vielfalt erleben“. „Genießen Sie unser vielfältiges Angebot!“ Gar nicht, ätschibätsch! Wenn ihr nicht das Wort Diversivität oder ein anderes fesches Synonym oder überhaupt mal eine veränderte Schreibe draufhabt dann entdeckt eure lahme Vielfalt doch selbst, ihr ideenlosen Heinis. Eine beliebte Formulierung der neueren Zeit ist auch dies hier: „Wir haben ein Bündel für Sie geschnürt!“ Das ist ja nett! Und dann komme ich mit meinem Spazierstöckchen vorbei, häng mir im Hänschen Klein - Style das karierte Bündel daran, schultere das Stöckchen und hoffe, nicht zu stolpern auf meinem Weg, über sperrige Wortbrocken etwa, denn: Das Wesentliche ist ja für die Augen unsichtbar! Aber immer sind da irgendwelche Spuren von mir…ach, was soll´s.
An der Supermarktkasse fällt mir ein, dass ich die Buchtstabennudeln vergessen habe. Also nichts wie zurück ins Regallabyrinth gespurtet und wieder auf Los. Also, an die Bezahlstation. Hier pfuscht sich ein Rentner vor, der besser auch Shampoo auf dem Einkaufszettel notiert gehabt hätte. Und murmelt so was wie „Der Bus kommt!“ Oder: „Der Russ kommt“ ??? Ich kann das nicht so genau verstehen. Ebenso wenig, wie die Tatsache, dass ältere Herrschaften es so oft so eilig haben. Und so schrecklich unhöflich sind, sich vorzupfuschen. Dann lieber mit Schriftzeichenpatronen beschossen werden. Aber das mit den Rentnern ist noch mal ein ganz anderes Thema!
Ahoi!
Daniel (Gast) - 8. Okt, 19:45

Hallo!

Und das meine ich auch so, voll umfänglich und massiv ( als Gegenteil zu hohl)

goldvonrhreydt - 9. Okt, 12:26

Hallo

"einen wunderschönen guten Tag", heute darf ich mal wieder als nr.3 Leser ein bisschen Senf abgeben...

Aber ich will nicht zu grantig sein, denn deine heutige Kolumne regt mich ein bisschen auf. Also ich hoffe, du sitzt gut und bist mir nicht böse.
Denn dein Blog ist nicht anderes als eine Worthülse. denn dieses Thema wurde auch schon zu Tode verkolumnet in ebenso angeblich eloquentem Wortgeschwurbel wie "Nichtsdestowenigertrotz ".
Speziell im Bildungsbürgertum macht sich ein Art Überlegenheitsgefühl breit, das sich so genauso dartstellt und das mir ehrlich gesagt total auf den Geist geht. Vielfalt ist ein gutes und absolut treffendes Wort, wieso unnötig mit Fremdworten angeben, wo doch am wichtigsten ist, dass der andere einen versteht.
Altes Werbe-Sprichwort: Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.

Das Thema mit der Servicefreundlichkeit kann ich auch nicht recht nachvollziehen, da es doch angenehmer ist wenn der Verkäufer freudnlich höflich ist. Ist doch jedem klar, dass das nicht persönlich gemeint sein kann. Warum muss das intellektuell in Frage gestellt werden und wieso sind deine persönlichen Varianten besser? Entschuldigung, das mochte ich echt nicht lesen.

Beim kleinen Prinzen allerdings kann ich vollen Herzens zustimmen, der arme Kleine ist völlig überstrapaziert.

Nichtsdestowenigertrotz : ich hoffe du bist nicht beleidigt, denn ICH MAG WEITERHIN DEINE KOLUMNE LESEN!!!..und mich dazu äussern

bitte genau so weitermachen Muddi.
dir einen schönen Tag und keine Sorgen, der Russ kommt nicht *lol*

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